1. Juni 1998 - Besuch in der alten Kennicott-Kupfermine
Auf die kleine Wanderung zur Mine freue ich mich, denn nach den vielen anstrengenden Meilen im Auto
ist ein Fußmarsch die Abwechslung, die man sich auf einer Rundtour regelmäßig genehmigen sollte.
Noch gut vor sieben Uhr stand ich auf und ein wolkenfreier, blauer Himmel begrüßte mich. Aber frisch
war es! Nachts habe ich die Heizung auf 12°C gestellt, denn wenn es kühler wird ist spürbar, daß ich
meinen Schlafsack eher für südliche Regionen gekauft hatte.
Die Toilette auf dem Platz war kein Hit. Eine unverschließbare schmutzige Bretterbude, kein
Toilettenpapier. Dafür gab es aber einen Wassertank mit gutem Trinkwasser und ich
konnte meinen Vorrat auffüllen. Die anderen Camper schliefen noch, es war
vollkommen still auf dem Platz. Ich frühstückte, packte meinen kleinen Rucksack und
machte mich Richtung Mine auf den Weg.
Es führt von der anderen Seite des Gletscherflußes eine Schotterstraße zur ungefähr
sieben Kilometer entfernten Mine. Parallel dazu zieht sich ein gut ausgebauter Fuß-
und Radweg durch den Birken und Kiefernwald, der erst zum Schluß leicht auf
Kennicott zu ansteigt. Und sobald man über die Baumwipfel schauen kann, hat man
eine phantastische Sicht über den riesigen Gletscher und die Berge dahinter. Der Fußweg kommt an einen
kleinen Friedhof vorbei, der von einem weißen Zaum umgeben ist. Die einfachen Kreuze sind aus Holz, weiß
angestrichen und mit einer Aufschrift, die kaum noch zu entziffern ist. Es waren zum Teil noch recht junge
Männer, die hier in den zwanziger und dreißiger Jahren bestattet wurden. Opfer von Arbeitsunfällen und
Krankheiten?
Kennicott erreichte ich bei schönstem Vormittagslicht. Gleich das erste Gebäude stand zum Verkauf an, dahinter
befand sich ein Grundstück über dem die Piratenflagge mit einem grinsenden Totenkopf wehte. Dann
befand ich mich schon im "Zentrum". Gelegentlich liefen ein paar Leute auf der Straße vor der Lodge mit
der gut gelegenen Aussichtsterrasse umher. Alle Gebäude waren aus Holz gebaut und in kupferroter
Farbe angestrichen und ein paar alte Büro- bzw. Wohnhütten werden von "Aussteigern" und Künstlern
bewohnt, die sich in dieses abgelegene Ende der Welt zurückgezogen hatten.
Anfang unseres Jahrhunderts wurde die Mine eröffnet und die "Copper River & Nortwestern Railway"
baute 1907 die Bahnlinie von Cordova durchs Tal des Copper River zur Mine. Wie es heißt, sollen
mehrere Gesellschaften versucht haben, eine Bahnlinie zu bauen und dabei versuchten sie, die
jeweilige Konkurrenz mit "unfeinen Mittel" auszuschalten. Rund eine halbe Million Kupfererz wurde dann
gefördert bis die Mine 1938 aufgegeben wurde.
Die rote Farbe von den Gebäuden tun sich in der grünen Landschaft hübsch hervor.
Überraschend war, wie gering der Zerfall nach Jahrzehnten des Stillstandes ist. Zwar hängen
an allen Betriebsgebäuden Schilder, auf denen vor dem Betreten gewarnt wird, dennoch
schaut es in einigen Gebäuden so aus, als wenn die Arbeiter gerade ihre Arbeitsplätze
verlassen hätten um zu frühstücken.
Eigentlich hatte ich mein Ausflugsziel erreicht und hätte nun wieder zurücklaufen können. Der
Fußweg führte aber über Kennicott hinaus am Gletscher entlang in die Berge. Also entschied
ich mich diesem Weg eine Weile zu folgen und so lief ich noch eineinhalb Stunden, auf der einen Seite die
Berge, auf der anderen der riesige Gletscher, an dessen Rand es tropfte, gurgelte, krachte
und knisterte. Immer wieder müssen mehr oder weniger reißende Bäche gequert werden
wobei es dem Wanderer an einigen Stellen leicht gemacht wird, in dem ein Baumstamm oder
gar ein Brett über die glitschigen Steine gelegt wurde.
Natürlich mußte ich irgendwann umkehren. Zuvor pausierte ich, aß etwas und konnte
beobachten wie über den Bergen sich heller Dunst bildete, die ersten Anzeichen, daß der Tag
anders enden würde als er begonnen hatte. In Kennicott führte eine Frau eine Gruppe ältere
Touristen durch die Anlagen und auf dem Gelände unter der Piratenflagge arrangierte eine
junge Künstlerin irgendwelches Gerümpel zu irgend etwas. Rohre, Räder, Rahmen etc. die aus den Gebäuden
der Mine stammten. Ich schaute eine Weile zu, wie sie mit einem rostigen Ding in der Hand in Gedanken
versunken vor ihrem Müll stand, es ablegte, wieder aufnahm, ein anderes Teil umsetzte usw.
usf. Nun, die Sommersaison hatte erst begonnen, vielleicht würde es ja noch etwas werden,
obwohl ich den Eindruck hatte, das Arrangement würde wohl letztendlich nicht allzuviel
hergeben.
In meinem Camper zurück kochte ich mir etwas zu essen und legte mich für eine Stunde
schlafen. Unterdessen hatte sich eine dicke Wolkenschicht von den Bergen her über die
Region gezogen und den Himmel 'deutschlandgrau' bedeckt. Obwohl auf dem Parkplatz der
Bagger wieder am Werken war gefiel mir der Ort heute weitaus besser als nach dem ersten Eindruck tags zuvor
und mir war klar, daß sich der Ort gut eignen würde, um länger zu bleiben und einige schöne Wanderungen in
die Wildnis zu unternehmen.
In den Abendstunden bin ich noch mal auf die andere Seite des Flusses gegangen und
suchte McCarthy auf. Der Ort ist überraschend groß - relativ zur Abgelegenheit der Region -,
hübsche Trapperhäuschen, ein Salon, Hotel, Geschäfte, Büro für Flugzeug- und Busmiete usf.
Der winzige Salon war überfüllt und ich verkniff es mir, mich auf ein Bier hineinzuzwängen.
Wind war nun aufgekommen und es regnete, dabei wurde es spürbar kühler. Der Wind fegte
im Flußtal feinen Sand umher.
Wieder an meinen Platz zurück setzte ich mich mit müden Beinen bequem in meinen Camper, schaute aus dem
Fenster und rieb an meinen ersten Mückenstich herum. In Wind
und Regen waren neue Gäste für die Lodge in McCarthy oder
Kennicott gekommen. Deren Gepäck wurde in einer Schubkarre
über die Brücke transportiert und auf der anderen Seite in einen
Minibus verfrachtet.
(c) Klaus Dieter Schley - 1999 - 2010