13. Juni 98 - Versumpft: Ein Wandertag
Gegen acht Uhr morgens: die Nacht hat es dauernd geregnet. Habe gut und lange geschlafen,
allerdings mit dem Gefühl etwas zu viel gegessen zu haben. Dafür wird heute gewandert. Am Eingang
des Campground befindet sich eine Karte über einen Rundwanderweg, der seinen Ausgang direkt am
Campground hat. Vom Prinzip eine Tagestour, nur irgend jemand hat mit Kugelschreiber auf die
Beschreibung des Weges geschrieben, der Weg sei "sehr, sehr hart".
Die ersten Minuten laufe ich auf einem gut ausgetretenen Pfad, was direkt in der Nähe des Platzes
natürlich kein Wunder ist. Bei einer Flußbiegung verschwindet der Pfad an der Abbruchkante des steilen
Flußufers, da hier das Gelände unterspült ist. Wegfragmente finden sich aber bald wieder, nur ein
richtiger Pfad wird es nicht mehr, im Gegenteil: nach ungefähr zehn Minuten hat sich jede Spur eines
Weges im Unterholz und Sumpf des flußnahen Geländes aufgelöst. Eine Weile irre ich umher, finde aber
keinen Anschluß mehr. Die beschriebene Rundwanderung dürfte also in dem sehr harten,
verwachsenen Gelände weitestgehend nach eigenem Ermessen erfolgen, wenn man sie machen
möchte. Ich verliere aber die Lust daran, weniger wegen dem schwierigen Gelände, sondern vor allem
wegen den unzähligen Mücken, die mich umschwärmen. Zwar bin ich gut eingepackt, nur die Hände
und das Gesicht sind frei und das Öl wirkt noch, aber sobald ich Luft schnappe, und ich komme ganz
schön ins schnaufen, habe ich die niedlichen Tierchen zwischen den Zähnen.
Nein, die Rundwanderung versuche ich nicht. Ich will auf den Berg, der sich rechter Hand massig
erhebt. Gut eine Stunde steige ich den teilweise arg steilen Hang empor. So komme ich zügig in die
Höhe, die Vegetation wird immer spärlicher, die Mücken steigen immer weniger mit, die Aussicht wird
immer phantastischer. Als ich eine Stelle erreiche, die relativ Eben ist um gut zu pausieren, die einen
guten Blick auf die nachfolgenden Erhebungen und dahinterliegenden Berge ermöglicht, ebenso wie
einen super Rundblick, wird mein Tagesziel erreicht sein, was mir jetzt noch nicht bewußt ist.
Zunächst genieße ich die Aussicht, schaue durch mein Fernglas, sehe weit unter mir den Fluß, dann den
Campground, den Dalton Highway nebst Pipline. Und ich schaue auf den vor mir sich weiter
hochziehenden Hang. Er dürfte leichter zu besteigen sein, als der verwachsene Weg unter mir, den ich
bislang rauf gekrakselt bin. Weiter oberhalb liegt in den geschützten Mulden noch Schnee. Sicher noch
eine reizvolle Wanderung wäre dorthin möglich, doch über den Gipfeln sammeln sich Wolken und
beginnen sich zaghaft auf die Felsen zu setzen. Es schaut so aus, als wenn eine neue Regenfront
anmarschiert und selbst wenn es nicht regnen sollte, warum sollte ich in den Wolken dort oben
umherstapfen?
Noch bevor ich den Flußgrund erreicht habe tröpfelt es schon. Ich mühe mich durchs Gehölz, muß
immer wieder zurück und an einer anderen Stelle einen neuen Versuch starten um in die Richtung des
Campground zu gelangen. Plötzlich habe ich vor mir die Spuren von dicken Pfoten im Matsch:
Bärenspuren. Sie schauen aber so aus, als wenn sie mindestens einen Tag alt sind weil sie auch vom
Regen etwas verwaschen sind. Sicherheitshalber fluche ich während meines Stolperns durch das Geäst
jetzt doppelt so laut, mache also den empfohlenen Lärm um die Bären, falls noch irgendwo
herumlungernd, so rechtzeitig zu verjagen, um so eine plötzliche unmittelbare Begegnung zu vermeiden.
Etwa eine dreiviertel Stunde dauert es, bis ich den Pfad erreicht habe. Inzwischen ist der Regen heftiger
geworden und kaum hocke ich in meinem Camper, schüttet es los. Ich war gut fünf Stunden unterwegs
gewesen. Am frühen Abend scheint die Sonne. Ich nutze die Gelegenheit und entfache ein Lagerfeuer.
Für die Besucher des Campgrounds liegen zu diesem Zweck an einigen Stellen passend bearbeitetes
Holz zur freien Verfügung. Die Sonne glitzert auf den feuchten Nadeln. Es ist eine schöne Stunde, die
von einem heftigen Regenschauer beendet wird. Später schien wieder die (Abend-) Sonne. Ein
Erdhörnchen wieselt um den Campgroundtisch während die letzten Reste des Holzes endgültig
verglühen.
(c) Klaus Dieter Schley - 1999 - 2010