29. Mai 98 - Matanuska-Gletschers
Was für ein Ärger: ich hatte vergessen Kaffe einzukaufen! Also begnügte ich mich mit einem Glas Cola zu
meinem Frühstück, bestehend aus Cornflakes mit Milch. In der Nacht war es kühl geworden, nur 12°C in
meinem Camper. Ich stellte das Thermostat der Heizung auf 18°C und nicht lange dauerte es, da war es
angenehm. Vor dem Frühstück bin ich etwas umhergelaufen. Der Camper am Fluß war schon weg, obwohl es
erst sieben Uhr war, dafür stand ein leicht lädierter Pickup am Ufer. Es war aber niemand zu sehen, weder in
dem Auto noch irgendwo in der Gegend.
Ein Schulbus fuhr über die Brücke. Es war einer dieser gelben Busse mit der flachen Schnauze, die von den
Südstaaten bis nach Alaska so typisch für amerikanische Schulbusse sind. Wenn so ein Schulbus hält und seine
Warnblinkanlage anhat bedeutet das für die anderen Fahrzeuge ebenfalls anzuhalten und zu warten, bis der Bus
wieder losfährt. Und dort wo Kinder wohnen stehen Schilder mit dem Hinweis "Speed Limit 20 mph" sollten
irgendwo Kinder im Straßenraum zu sehen sein. Die maximale Höchstgeschwindigkeit auf den gut ausgebauten
Straßen beträgt 65mph (eine Meile gleich 1,6 km), zumeist aber nur 55 mph. Mehr geben viele Straßen auch
nicht her, weil sie nur einen Schotterbelag haben oder weil der Frost die Fahrbahndecke verformt hat. Dann
stehen gelber Schilder mit der Aufschrift "Bumps" davor und man muß damit rechnen, daß bei zu hoher
Geschwindigkeit einem der Magen gegen die Kinnlade schwappt.
Als ich abfahrbereit im Auto saß tauchte der Fahrer des Pickup auf. Er sah kaum weniger zerknittert aus als sein
Fahrzeug. Wahrscheinlich hatte er im Auto gelegen und nun fragte er mich, wie spät es sei. Ich trage keine
Armbanduhr, mein Wecker lag in der Koje und die Uhr des Autoradios zeigte eine Phantasiezeit an. Ich sagte
ihm so gegen acht Uhr. Tatsächlich war es erst kurz nach halb acht. Kurze Zeit darauf sah ich seinen Wagen vor
einer Blockhütte stehen, man könnte auch sagen vor einer etwas schiefen Holzbaracke über deren Eingang ein
verwittertes Schild mit der Aufschrift 'Café' hing. Noch während ich vorbeifuhr ging mir der Gedanke durch den
Kopf dort ebenfalls einzukehren, aber der Jetlag, diese Dösigkeit infolge der Zeitumstellung, ließ mich apathisch
davon treiben.
Schnell erreichte ich Palmer und damit den Glenn Highway nach Glennallen. In Palmer bestand zwar die
Möglichkeit einzukaufen, da mir aber nicht gleich ein 'Store über den Weg lief' trieb ich so flott aus dem kleinen
Ort (4000 Einwohner), das ich diesen Gedanken wieder sausen ließ. Zum Glück sollte ich den Jetlag bald
überwinden und diese apathische Entschlußunfähigkeit verlieren.
Der Highway ist asphaltiert und somit gut befahrbar (bis auf die Bumps). Er führt bis kurz vorm Taketna Pass
(914m hoch) am Matanuska River entlang, der dem gleichnamigen Gletscher entspringt.
Weit bin ich an diesem Tag nicht gefahren. Bei Meile 100 auf dem Highway oberhalb des Matanuska-Gletschers
liegt nahe der Straße ein staatlicher Campground. Diese Campgrounds sind eine recht passable Einrichtung und
befinden sich zumeist in schöner Umgebung. Die Fahrwege und Abstellbuchten sind mit Kies stabil in die
"Büsche" gebaut und zwischen den Buchten sind genügend große Abstände, so das einem ein Nachbar nicht zu
nahe auf der Pelle sitzt. Jede Bucht ist mit einer Feuerstelle und einem Holztisch mit zwei einfachen Bänken
davor ausgerüstet. Oftmals liegt Feuerholz bereit, das von der Parkverwaltung zur Verfügung gestellt wird, denn
selbst Holz schlagen ist streng verboten. Die sanitären Einrichtungen sind dagegen "bescheiden", das heißt, sie
bestehen eigentlich nur aus Plumbsklos. Die Häuschen sind allerdings stabil gebaut und sauber, meistens gibt
es sogar behindertengerechte Buden und Toilettenpapier ist immer ausreichend vorhanden. Nur mit dem Wasser
hapert es. Manchmal steht irgendwo eine Art Pumpe, mit der man "Waschwasser" aus der Erde bekommen
kann. Diese Dinger funktionieren aber nicht immer und das hat seinen Grund im Frost, der fließend Wasser
verhindert bzw. entsprechende Einrichtungen im Winter zerstört. Stabile Blechcontainer - oft mit speziellen
"Bärenverschlüssen" - dienen als Abfalleimer.
Diese staatlichen Campgrounds sind sogenannte "Self Register" Einrichtungen, denn es gibt niemanden, der
einem Geld abknöpft und einen Platz zuweist. Am Eingang stehen die "Rules", zu denen auch die Aufforderung
gehört, die entsprechende Übernachtungsgebühr in einem kleinen Blechkasten zu hinterlassen. Dazu nimmt
man eine Papiertüte aus einem Kasten, trägt ein paar Angaben auf dem Umschlag ein, wie die Zahl der
Übernachtungen, und stopft das Geld in die Tüte, die dann in den Metallkasten kommt. Zwischen zehn Dollar
und sechs Dollar kostet so eine Übernachtung. Dieses Prinzip scheint so gut zu funktionieren, das es eine
auffallende Kontrolle nicht gibt. Natürlich kommt irgendwann jemand und schaut nach dem Rechten, das
Toilettenpapier kommt ja nicht von alleine und der Müll muß auch abtransportiert werden. Aber das ist es dann
auch schon. Diese Art Plätze habe ich in den drei Wochen überwiegend in Anspruch genommen und sie waren
durchweg ordentlich und sauber. Wer dagegen hin- und wieder mal Duschen und seine Wäsche waschen
möchte, muß auf einen "kommerziellen Campground" oder "RV Park" ausweichen, die es ebenfalls ausreichend
an vielen Orten oder in freier Landschaft gibt. Dort bekommt man alles, einschließlich Strom und Trinkwasser
nebst Kabel-TV. So eine Übernachtung kosten zwischen $17 und $27, zumindest zahlte ich soviel.
Gegen zehn Uhr morgens war ich der einzige auf dem Platz. Die Sonne glitzerte im frischen Grün der Bäume
und Büsche, eine friedliche Atmosphäre strahlte die ganze Umgebung aus und der Nahe Gletscher lud ein ihn zu
besuchen. Also entschied ich mich zu bleiben, stellte meinen Camper ab, zahlte, leistete mir ein zweites
Frühstück (noch immer ohne Kaffee) und machte mich auf den Weg zum Gletscher.
Als ich im Tal nahe des Flusses angekommen war hatte ich meine "Zwiebelschalen" bis zum T- Shirt abgelegt.
Der Pfad führte durch eine leicht sumpfige Wiese. An einigen Stellen lagen noch dicke Schnee- und Eispanzer
die langsam abtauten. Dann gelangte ich auf einen Fahrweg, der nach dem Queren des Flusses über eine
Brücke aus Holz und Stahl auf eine Schranke zuführte. Rechts davon gab es ein Gebäude, das wie ein Laden
aussah, Erfrischungen und Andecken und ähnlichem, mit einer Veranda davor. Hinter der Schranke war ein
kleines Holzhäuschen, daß den Eindruck einer Zollstation machte. Neben dem Häuschen stand ein motorisierter
kleiner Schneepflug und ein Schneeschieber stand gegen die Wand neben der Veranda gelehnt, so als habe
gerade jemand seine Arbeit unterbrochen um einen wärmenden Tee zu trinken. Unterdessen war der Sommer
ausgebrochen und die Schneeräumgeräte waren vergessen und mußten jetzt auf den nächsten Winter warten.
Der Wind raschelte mit dem Laub, Vögel piepsten, es war wie ausgestorben, niemand war zu sehen und kein
Hinweis, was die ganze Installation - mit der Schranke - sollte. Ich ging auf die Schranke zu, ging an sie vorbei
und plötzlich rief mich jemand, der auf der Veranda stand. Ich blieb stehen und der junge Mann kam mir
nachgelaufen. Es würde $6,50 Kosten wollte ich weiter zum Gletscher, denn das sei hier Privatgelände. Ich
fragte, wie weit es noch sei, ungefähr drei Meilen und weil ich nur $6 klein hatte reichte das auch. Ich durfte
weiter.
Nahe des Gletschermundes gab es einen kleinen Parkplatz mit ein paar Bänken und einer Hinweistafel. Vom
Parkplatz konnte man hinunter laufen zum Eis durch das graue und schmierige Gletschermehl. Die große
Eismasse empfängt einem mit spürbar kühler Luft und ich hatte inzwischen alle "Schalen" wieder angezogen, als
ich auf dem Eis umherlief. In der Ferne waren die spitzgipfligen Chugach Mountains zu sehen, von denen das
Eis sich herschiebt.
Als ich wieder bei der Schranke war, tropfte mir der Schweiß von der Stirn. Die Sonne meinte es wirklich gut. Ich
ging in den Laden und holte mir einen Eistee und der junge Mann lachte. Natürlich hätte ich gut mit meinem
Camper die Strecke fahren können, denn rund eine halbe Meile nach dem Campground zweigte der Fahrweg
ab. Doch die Unwissenheit darüber hatte mir einen schönen Spaziergang ermöglicht.
Ich setzte mich auf die Veranda, trank den Tee und genoß die Ruhe sowie das klingende Spiel des sanften
Windes mit den Mobiles. Am linken Ende der Veranda bemerkte ich einen Polarhund, der reglos auf seinem
Platz lag und mich nur etwas gelangweilt anblinzelte. Für Polarhunde und Schneeschieber gab es jetzt ganz
ruhige Wochen.
Der ganze Ausflug hatte gut drei Stunden gedauert. Als ich wieder bei meinem Camper war schlug der Jetlag zu
und ich legte mich auf die Sitzbank in meinem Camper und schlief schnell ein. Als ich nach zwei Stunden
aufwachte war ich noch zerschlagener als zuvor. Dennoch setzte ich mich nach draußen in die warme Sonne.
Irgendwann raschelte es plötzlich hinter meinem Wagen. In aller Seelenruhe knabberte ein Karribu die frischen
Blätter von den Büschen und ließ sich auch von meiner Anwesenheit von seiner Mahlzeit nicht abschrecken.
Nachdem es den Platz ausgekostet hatte verdrückte es sich wieder langsam und gemächlich ins Gebüsch.
Zum Abend füllte sich der Platz mit weiteren Gästen. Hier und dort wurden Feuer entfacht, die meisten aber
saßen in ihren mobilen Heimen, denn langsam wurde es wieder kühl.
(c) Klaus Dieter Schley - 1999 - 2010