9. Juni 98 - Coldfoot am Dalton Highway
Die Nacht habe ich nicht ganz so gut geschlafen wie in den Tagen zuvor. Eine Mücke plagte in der typischen
Weise einer "Mücke in der Nacht". Um so besser schmeckt der Kaffe an diesem Morgen. Knapp eine Meile
nördlich von Yukon kommt mir ein Mann zu Fuß entgegen und winkt. Hat wieder jemand eine Reifenpanne?
Nein, sein Wagen hängt nur in einem Matschloch fest. Dumm nur, das Mietwagen nicht mit Abschleppseilen
ausgerüstet sind. Also geht er weiter zur Werkstatt in Yukon. Hinter der nächsten Kurve steht sein Camper , die
rechten Räder tief in den matschigen Straßenrand gewühlt.
Ungefähr eine Stunde später überhole ich einen Radfahrer der den Dalton Highway mit dem Rad "macht". Ein
paar Tage später wird mir sogar ein Fußgänger begegnen. Er zieht einen Karren hinter sich her, auf dem er sein
Gepäck verstaut hat. Eine durchaus sinnlich intensive Art die Straße in dieser Natur zu bewältigen. Tage später
werde ich aber der Ansicht sein, daß diese Industriestraße es nicht lohnt sich ihr auf diese Art und Weise
auszusetzen. Und das liegt an der mehr oder weniger dauernden Gegenwart der Pipline und vor allem den
vielen Trucks, die im Durchschnitt alle zehn bis fünfzehn Minuten an einem vorbei donnern. Für eine
"Wildnistour" einfach zufiel "industrielle" Gegenwart. Doch sicher ist das Geschmackssache.
Freierodierte Granitpfeile, sogenannte Tors, stehen auf einer Tundra-Hochfläche. Für die Buschpiloten sollen
diese markanten Felsen zur Orientierung gedient haben, als es die Straße noch nicht gab. Ich steige aus und
schaue mir die "Finger Mountains" an. Ein unangenehm kalter Wind pfeift mir um die Ohren. In der Nähe auf
dem Parkstreifen steht ein Truck. Der Fahrer saß noch hinterm Lenkrad als ich kam und aß etwas. Als ich weiter
fuhr hatte er sich wohl schlafen gelegt, denn die Scheiben waren verhangen.
Ein paar hundert Meter weiter fährt mir ein Schreck durch die Glieder. Im Innenspiegel kann ich plötzlich nach
hinten raus schauen. Sofort halte ich. Die Tür des Camperaufbaus hatte ich nicht verschlossen und durch das
heftige Geruckel ist sie aufgesprungen. Zum Glück ist nichts verloren gegangen. Als ich weiterfahren will, hält ein
Pkw neben mir. Der gute Mann fragt, ob etwas nicht in Ordnung sei. Ich kann ihn beruhigen. Gleichzeitig wird mir
klar, daß die Straße zwar durch ein total einsames Gebiet führt aber einsam und verlassen wird man hier nicht
sein, sollte irgend etwas passieren. Auf uns Touristen haben die Angestellten der Ölfirmen und die wenigen
Anwohner wohl ein fürsorgliches Auge gerichtet.
Um zehn Uhr erreiche ich einen "besonderen Platz" in den USA: den Polarkreis, der an dieser Stelle von der
einzigen Straße in den USA gekreuzt wird, die noch weiter in den Norden führt. Dem Polarkreis sieht man
natürlich nicht an das er (theoretisch) etwas besonderes ist. Also muß eine Informationstafel her, ein Parkplatz
und zum Glück auch ein Toilettenhäuschen. Letztere ist das Wesentlichste für mich an diesem Ort. Als ich wieder
ins Freie trete ist noch ein anderes Auto gekommen. Die Insassen steigen aus, schauen kurz auf die
Informationstafel (dort steht auch beschrieben was für Pflanzen und Tiere in der Polarregion beheimatet sind),
dann bauen sie sich vor dem Schild auf und fotografieren sich gegenseitig. Zwischendurch wird mehr oder
weniger kräftig gegen die Mücken gewedelt und geschlagen. Nach kaum fünf Minuten ist der Spuk vorbei, die
Leute sind weiter gefahren oder wieder zurück in den "Süden" nachdem sie den "Polarkreis "gemacht" haben
und ich mache mir ein zweites Frühstück.
Der letzte und nördlichste Campground, Marion Cree, liegt rund fünf Meilen nördlich von Coldfoot! Die
Übernachtung kostet nach Self Register Methode 6$. Der Platz ist eben, befindet sich in einem Fichtenwäldchen
und die Wege und Stellflächen sind stabil und trocken mit Schotter ausgebaut. Auf Platz Nummer 25 quartier ich
mich ein. Im "Ort" selbst gibt es ein Motel, eine Tankstelle mit Werkstatt, eine Poststation und ein Visitor Center,
alles um einen großen Matschplatz herum. Tanken kann man mit einer Kreditkarte was meine Entscheidung
weiter gen Norden zu fahren, endgültig besiegelte, denn erschrocken stellte ich fest, das mein Bargeldvorrat
etwas knapp geworden war. Geldautomaten und Banken sind in dieser Region natürlich nicht gerade üblich. Den
Rest des Tages verbringe ich mit essen und kleinen Spaziergängen. Ein Schild am Eingang des Campground
warnt vor Bären, die in der Gegend umherlaufen sollen.
Es ist regnerisch, ca. 13°C warm und die Berge sind dicht mit Wolken umnebelt. Ein Erdhörnchen inspiziert
meinen Stellplatz, Vögel zwitschern, der Regen pladdert aufs Dach. Der "Versackte" vom Morgen fährt an
meinem Platz vorbei. Er wird hier nicht übernachten, denn bei einem letzten Spaziergang an diesem Tag über
den Campground kann ich ihn nirgends entdecken.
(c) Klaus Dieter Schley - 1999 - 2010