30. Mai 98 - Sommer, Winter, Frühjahr und zurück: Valdez
Der Glenn Highway gilt als eine dichtbefahrene Straße. Im Reiseführer steht, Alaska-Wildernes- Feeling mag
nicht aufkommen, obwohl rechts und links der Straße kaum etwas anderes als Wildnis herrscht. Doch was heißt
dicht befahrene Straße und gibt es dafür einen Maßstab? Ein möglicher Maßstab wäre vielleicht die Länge eines
Staus vor einer Baustelle, die sich über sieben bis zehn Meilen erstreckt. Baumaschinen haben die Fahrbahn
aufgerissen, schieben gewaltige Erdmassen hin- und her und Walzen die neue Decke. So eine Baustelle
erreichte ich in der Nähe des Taketna Pass und der Stau nahm die Länge von etwa zehn Autos an, darunter ein
Truck. Wir mußten warten bis der 'Pilot' mit dem Gegenverkehr kommt, wendet und sich dann an die Spitze des
Konvois stellt und das 'Flag-Girl' mit ihrem Stopschild den Weg freigibt. Dann löst sich der Stau auf und die zehn
Fahrzeuge tuckeln die sieben bis zehn Meilen hinter diesem Pilotfahrzeug hinterdrein, bis das Ende der
Baustelle erreicht ist, an der sich unterdessen ein Stau von etwas sieben Autos aufgebaut hat.
Dem Taketna-Pass folgt der Eureka Summit, 1012m hoch, ein Sattel mit sehr schöner Aussicht auf die Berge
und ihre Gletscher. Hier oben gibt es nur noch wenige Fichten. Einige Wanderwege zweigen von der Straße in
die tundraähnliche Landschaft ab.
Ich trieb weiter und erreichte Glennallen. Der Ort ist ein wichtiges Versorgungszentrum in der Umgebung, sogar
mit einer eigenen Radiostation, die unter anderem Nachrichten für Angler brachte, d.h., was geangelt werden
darf und wo es günstige Möglichkeiten in der weiteren Umgebung gab.
Versorgungszentrum hört sich nach etwas Großem an, tatsächlich ist der Ort aber auch nur so etwas wie ein
Dorf ohne eigentliches Zentrum, mit einer Straßenkreuzung und viel Wildnis drum herum. Hier kaufte ich noch
einmal ein, nun auch Kaffee und Tee. Tanken schien mir auch sinnvoll, denn wohin ich fahren wollte war mir
noch nicht ganz klar. Die Mc Carthy-Road schwebte mir vor, aber aus meinem Reiseführer ging hervor, daß es
sich um eine anspruchsvolle Tour in die Wildnis handelte, die zudem größtenteils über dem ehemaligen
Bahndamm einer Eisenbahnlinie verläuft, verbunden mit der Chance, sich einen alten Nagel in die Reifen zu
holen.
An der Kreuzung endet der Glenn Highway und mündet in den Richardson Highway. Nach Norden gelangt man
über Delta Junction entweder nach Kanada oder nach Fairbanks. Nach Süden führt die Straße an die Küste
nach Valdez. Direkt an der Kreuzung steht das Visitor- Center und diesem Blockhaus stattete ich einen Besuch
ab.
Das freundliche Personal gibt Auskunft zu allen Fragen die einem Touristen so einfallen können. Es hat auch
Informationen über den Zustand von Straßen, man bekommt Karten, Bücher und häufig auch eine Tasse Kaffee.
Die Regale sind vollgestopft mit Faltblättchen und Broschüren, die nichts kosten und die grobe Informationen
über alles Mögliche geben, die aber vor allem Werbung enthalten. Mit diesem kostenlosen Informationsmaterial
deckte ich mich ein. Denn kaum hatte ich die Hütte betreten, folgten mir wie aus dem Nichts gewachsen soviel
Besucher, daß die kleine Hütte voll stand und die beiden jungen Frauen eifrig beschäftigt waren. Ich trug mich
noch ins Gästebuch ein und entschied mich zunächst südlich Richtung Valdez zu fahren.
Die Straße war gut ausgebaut, die Sonne schien und die Aussicht nach Osten auf die Wrangell Mountains war
super. Die vier bis fünftausend Meter hohen Berge waren in der Ferne gut zu erkennen. Der größte Teil dieses
Gebietes zur kanadischen Grenze hin stand unter Naturschutz und nur ein Weg führt hinein: die Mc Carthyroad.
Ich ließ sie links liegen und fuhr rechts auf einen Parkplatz. Dort braute ich mir meinen ersten Kaffee. Der Kaffee
tat gut und verjagte die Reste des Jet lag und mein Entschluss stand fest, ich würde nach Valdez fahren,
entweder dort oder in den Bergen übernachten.
Valdez liegt am Prinz William Sound und kam 1989 zu weltweiter Berühmtheit durch die Havarie der Exxon
Valdez, einem Öltanker. Die ganze Bucht wurde verschmutzt und der Schaden ging in die Milliarden. Direkt
neben der Straße verläuft die Trans-Alaska Pipeline, ein technisches Großbauwerk von Prudhoe Bay in der
Arktis bis nach Valdez, insgesamt 1287 km, wobei drei Gebirge überwunden werden müssen. Durch dieses gut
ein Meter dicke Rohr läuft der Reichtum Alaskas, denn Teile des Erdölprofits werden jährlich an Alaskaner
ausgeschüttet, zudem sind die Steuern sehr niedrig oder entfallen ganz. Da diese Pipline immer in der Nähe der
Straßen verläuft, gibt es reichlich Aussichtspunkte auf diesen dicken silbernen Wurm, der sich zumeist
oberirdisch durch die Wildnis schlängelt und an manchen Stellen den Eindruck erweckt, Außerirdische hätten
etwas Sonderbares in die Natur gelegt.
Vor Valdez liegt das Küstengebirge und die Straße führt über den Thompson Pass 816 m hoch. Schien nördlich
dieses Gebirges die Sonne, so ahnte ich nun, daß die Wolken vor mir schlechtes Wetter bedeuten würden. Je
weiter ich in die Berge kam desto mehr regnete es und je höher es ging desto mehr Schnee lag zu beiden Seiten
der Straße. Der Campingplatz, den ich mir ausgesucht hatte, war noch dicht verschneit. Eine günstige
Gelegenheit eine Plastiktüte mit dem Schnee voll zu packen und in die Kühlbox zu legen. Eine einfache
Alternative zu den $2,50 teuren Eispäckchen, die es in nahezu jedem Geschäft zu diesem Zweck zu kaufen gibt.
Der Pass selbst lag im dichten Nebel, und die Sichtweite betrug gerade mal zehn Meter. Auf der südlichen Seite
regnete es um so mehr und die Straße führt an ein paar eindrucksvolle Wasserfälle vorbei.
Auf kurzer Distanz, rund 100 km, hatte ich drei Klimaregionen durchfahren. Nördlich der Berge war es
sommerlich warm und sonnig, in den Bergen herrschte noch der Winter mit meterhohem Schnee (nur die Straße
war frei) und südlich der Berge war das milde aber feuchte Klima des Pazifik spürbar. Die Vegetation war hier
auffallend üppiger und die Berghänge dicht bewachsen. Valdez empfing mich unter dichten Wolken mit feinem
Regen.
Die Straße endet am Fähranleger. Das Auto parkte ich beim Visitor Center und dann machte mich in meine
Regenjacke zu einem Rundgang auf. Das alte Valdez wurde 1964, an einem Karfreitag, vollständig bei einem
Erdbeben zerstört (25 Jahre später, an einem Karfreitag, wurde die ganze Bucht durch das auslaufende Öl der
Exxon Valdez verseucht). Das neue Valdez ist eine rechteckige Reisbrettkonstruktion. Rund 4000 Einwohner hat
die Stadt und sie ist mit allem ausgestattet: Schulen, ein Krankenhaus, Hotels, Service. Dennoch machte sie auf
mich den Eindruck eines Ortes abseits der Welt. Die Wolken hingen niedrig an den Hängen der umliegenden
Berge, es war alles grau und naß und wenn ich mit dem Gedanken spielte, auf einem RV Park für eine Nacht zu
gehen, allein um mal zu duschen, so verflüchtigte sich dieser Gedanke wieder, nachdem ich das Museum
besucht hatte. Ja, in Valdez gibt es auch ein Museum, und zwar eines von der Art wie ich sie besonders mag:
gerade zwei Klassenzimmer groß beherbergt es Ausstellungsstücke, die selten älter als hundert Jahre sind und
die sich vor allem mit dem großen Goldrausch befassen, der vor genau einhundert Jahre in Alaska einfiel und zu
seiner Besiedlung maßgeblich beitrug.
Tausende Goldsucher versuchten ihr Glück. Sie führten einen Krieg: einen Krieg gegen die Widrigkeiten der
Natur und gegen ihre Artgenossen. Sie waren Soldaten in diesem Krieg, die ihr Fell zu Markte trugen, wie es
Soldaten immer machen, den Profit aber machten zumeist andere. Händler zum Beispiel, die ihnen die
Ausrüstung und die Lebensmittel verkauften. Und noch ehe sie auch nur Krümel Gold gefunden hatten, waren
sie an diesen Ausrüstungen und Transportmöglichkeiten ein Vermögen los.
Die Ausstellungstücke wurden liebevoll präsentiert und erklärt, es gab den Nachbau eines alten Blockhauses mit
einem winzigen Zimmer, mit einem alten Bügeleisen, einer Bibel auf einem Tisch neben dem kleinen Holzherd,
der zugleich Ofen war. An dem Tisch mit der Bibel lehnte eine Flinte, Werkzeug lag auf dem Boden und ein Bett -
mehr eine primitive Pritsche - stand in einer Ecke. Auch Waffen und Werkzeuge der Inuit sowie der Athabasken-
Indianer wurden gezeigt und deren Verwendungsweisen erklärt. Unvermeidlich für einen Ort wie Valdez am
Ende der Pipe: ausführliche Informationen über das Schwarze Gold und die Technik, mit der es von der Arktis bis
auf die Schiffe in Valdez transportiert wird. Die Erdbebenkatastrophe sowie die Ölkatastrophe von 1989 wurden
ebenfalls ausführlich dokumentiert.
Nach gut einer Stunde verließ ich das Museum mit dem Entschluß nördlich der Berge auf dem Campground
nahe der Pumpstation Nr. 12 der Pipe zu nächtigen. Zuvor kaufte ich mir im Liquor Stores gegenüber dem Visitor
Center ein Sixpak Alaska Amber Bier, nun mochte es regnen wie es wollte, ich stellte mich auf einen gemütlichen
Abend ein. Aufwiedersehen Valdez, vielleicht eines Tages mal bei schönerem Wetter, denn die Umgebung ist
reizvoll, es lassen sich schöne Ausflüge unter anderem mit den Fähren machen sowie Wanderungen
unternehmen.
Am Südhang der Berge war der Regen heftig, am Pass nieselte es, aber der Nebel war dünner geworden und
ließ mehr von der Winterlandschaft sehen, an den Nordhängen lies der Regen nach, die Wolken brachen auf.
Zwei Motorradfahrer kamen mir entgegen. Sie waren gerade dabei sich ihre Regensachen anzuziehen. Dagegen
konnte ich den Scheibenwischer ausschalten und als ich den Little Tonsina Campground bei Meile 65 - von
Valdez aus - erreichte, war der Himmel wolkenfrei, die Sonne schien hell und warm in den Abend und die Luft
war kristallklar.
(c) Klaus Dieter Schley - 1999 - 2010