16. Juni 98 - Besuch bei den Riesen: Tors Trekking
Eigentlich bin ich ein eher "nüchterner" Mensch und laß mich von angeblich "übernatürlichen Dingen"
nichts einjagen. An diesem Tag sollte ich aber etwas erleben, das von seiner Wirkung her meinen
Verstand schon etwas arg forderte. Bis heute habe ich jedenfalls keine so klare Erklärung für das was
ich erlebte, daß das Erlebnis von seiner Wirkung her ihren seltsamen Zauber verlieren könnten.
Der Tag begann mit dem üblichen heißen wie starken Kaffe zum Frühstück, während zwischen Wolken
und Bäumen blauer Himmel hindurchschimmerte. Ich hatte mir vorgenommen, den "Granit Tours Trail"
zu laufen. Er beginnt gleich auf der anderen Straßenseite gegenüber dem Campground und ist als
Rundtour gelaufen ca. 25 km lang. Dabei wird ein Höhenunterschied von etwa 750m überwunden. Aus
den Beschreibungen ging hervor, daß der Weg leicht zu laufen sei, also kein schwieriges Gelände zu
erwarten ist, er aber dennoch wegen der Länge schon etwas anstrengend sei.
Die Berge in der Region des Chena River sind nur sanft gewellt und teils dicht bewaldet. Auf den
Berghöhen herrscht die baumlose Tundra auf denen sich mächtige Granit-Felstürme erheben. Sie sind
die Überbleibsel einer schon seit millionen Jahren andauernden Erosion, bei der der weicher Boden
von den Bergen abgetragen wurde und nur diese markanten Felstürme hinterlassen hat.
Meine Befürchtung ob des vollen Campgrounds würde der Trail "gut besucht" sein war zum Glück
vollkommen unbegründet. An diesem Tag war ich wohl auf dieser Tour ganz alleine. Die anderen
fischten oder fuhren einfach weiter. Jedenfalls habe ich den ganzen Tag auf der Wanderung keinen
Menschen gesehen.
An der Weggablung kurz nach Beginn des Trails entschied ich mich, die "Nordtour" zu laufen. Die
Sonne glitzerte zwischen den Bäumen, auf dem "Rock Craek" und im feuchten Gras. Die Natur zeigte
sich von ihrer romantischen Seite und dort wo sie dem Wanderer schwer oder kaum begehbares
Gelände durch Sumpffelder in den Weg legte, waren dicke Hohlzbohlen zu einem bequem
benutzbaren Steg aneinander gereiht. Bald ging es aufwärts, Meile um Meile, teils durch einen reinen
Birkenwald und der Himmel verzog sich zusehends. Als ich die Waldgrenze langsam erreichte waren
zwischen dichten Nebelschwaden in der Ferne die ersten Steinriesen zu erkennen. Zunächst wurde
ich selbst "umnebelt" und es wurde spürbar kühler. Der "Weg" verlief nun hin- und wieder mit
Steinmännchen markiert über einige Geröllfelder und als ich die hinter mir gelassen hatte verzogen
sich auch die Nebelschwaden und die Sonne kam zum Vorschein. Plötzlich ich stand vor einer
einfachen Schutzhütte. Sie beherbergte Verbandsmaterial, eine Säge um Holz für den kleinen Kamin
zu bearbeiten und ein Gästebuch, in dem sich schon viele Wanderer eingetragen hatten. Tags zuvor
war die letzte Eintragung erfolgt und ich setzte meinen Namen und meine Herkunft ebenfalls dazu.
Eine viertel Stunde später stand ich zwischen den Granitfelsen. Manche waren nur ein paar Meter
hoch, doch viele andere erhoben sich zwanzig, dreißig, vierzig Meter aus der mit Moosen bewachsen
Tundra. Zugleich befand ich mich auf der höchsten Stelle in der weiteren Umgebung und ich hatte eine
ungehinderte Sicht über die hügelige Region vor allem in nördlicher und östlicher Richtung, aus der ich
gekommen war. Bevor ich über den südlichen Weg zurückwandern wollte suchte ich mir zwischen den
Felsen ein angenehmes Plätzchen um etwas zu essen und meinen obligatorischen Mittagsschlaf auf
Wanderungen zu halten. Nur die berühmte "viertel Stunde" lang, zumal es kühl wurde.
Sicher habe ich geträumt, oder was sonst? Mit halb geöffneten Augen habe ich dagesessen,
zusammengekauert weil die kalte Luft mir langsam in die Klamotten kroch, habe gedöst, die Stille
genossen und Stimmen gehört. Wenige Augenblicke nur war ein seltsames Gemurmel zu hören in
einer fremden Sprache. Dann war es Still. Ich erhob mich und schaute mich um. Waren die Stimmen
weiter weg, oder waren sie nah bei mir gewesen? Natürlich können es keine Stimmen gewesen sein,
denn niemand war zu sehen. Und es war vollkommen ruhig, nicht einmal Wind wehte, wenn auch
dicke Wolken unter dem blauen Himmel herzogen und die Riesen für Minuten in schummerigen
Schatten hüllten.
Ich machte mich langsam auf den Rückweg. Es ging zunächst ein gutes Stück in einer langen Senke
wieder runter um anschließend noch einmal scharf bergauf zu gehen. Und überall die Riesen aus
Granit. Über mehrere Quadratkilometer waren sie in dieser seltsamen Landschaft verteilt, einzeln
stehend oder in Gruppen. Kurz bevor es dann endlich abwärts ging setzte ich mich noch einmal zu
einer Pause auf den Boden zu Fuße eines solchen Riesen. Langsam spürte ich ein wenig Erschöpfung
(aus Erfahrung weiß ich, das meine beste Zeit vormittags oder am späten nachmittag ist).
Ich döste wieder etwas, lauschte in die Stille hinein und ließ meine Gedanken ihren Lauf als ich
plötzlich überzeugt war, das gleich jemand kommen würde! Sie würden mir den Berg aufwärts
entgegen kommen, Wanderer, die sich unterhielten und die entgegengesetzte Richtung dieser
Rundtour liefen. Also stellte ich mich auf um zu schauen wo sie liefen. Doch niemand war zu sehen,
keiner kam mir entgegen und kein Mensch folgte mir. Ich war alleine und es war auch nichts zu hören,
kein Mensch, obwohl ich fest davon überzeugt war, jeden Augenblick jemanden zu sehen, hatte ich
doch ganz deutlich Stimmen gehört. Ich schaute durch mein Fernglas, aber weit und breit war kein
Mensch zu sehen. Es war tiefe Stille, nur eine Fliege brummte um mich her und fette Wolken zogen
hoch über mir und warfen ihren schummerigen Schatten über die Landschaft.
Vielleicht bin ich zuviel Auto gefahren und vertrage das Wandern nicht, oder was? Werde ich denn
verrückt? Vertrage ich das Alaskabier zum Abendessen nicht? Ich höre Stimmen während ich dasitze
und mit offenen Augen in die Gegend schaue.
Eine Weile stand ich noch da und schaute mich um. Es war nichts zu hören, die Riesen waren von
allem unberührt, ihnen gehörte die Ewigkeit. Langsam stieg ich den Weg hinab und schaute noch
einmal zurück. Am Horizont auf dem Berg standen diese seltsamen Ungetüme unter dem klaren
Lichtspiel aus Sonne und Wolken. Natürlich konnte ich mir nun einreden als würde es so ausschauen
das sie sich ein wenig vorbeugten um zu schauen ob ich wirklich gehe.
Sicher dürfte es interessant sein dort oben zu übernachten, möglichst wenn klare Luft ist und der Mond
scheint. Dann, das wußte ich aus manch anderen felsigen Regionen, nehmen Steine und Felsen
Gestalt an und vielleicht kann man auch dann Stimmen hören, murmeln und fernes Rufen zwischen
den steinigen Gestalten die sich nächtens über die Tundra bewegten. Schade, das ich für so ein
Abenteuer keine Zeit mehr hatte, denn indem ich den Rückwanderung antrat bewegte ich mich von
nun an endgültig auf die Heimreise.
Es ging steil bergab, Meile um Meile. Bald war ich von dichtem kleinwüchsigen Fichten umgeben. Es
wurde nun richtig warm, je tiefer ich kam. Irgendwann befand ich mich plötzlich im Talgrund. Ein Bach
murmelte, an seinem Ufer lagen noch dicke Schneereste. Auf dem Boden saßen gelbe Schmetterlinge
in der warmen Sonne. Über mehrere hundert Meter erstreckte sich nun ein Sumpfgebiet, das man um
diese Jahreszeit nur deswegen durchqueren kann, weil aus Bohlen für die Wanderer ein passabler
Weg gebaut ist. Bald darauf war ich an der Abzweigung zur Nordschleife, dann stand ich auf der
Straße, querte den Rock Creak und konnte von der Brücke in dem flachen, klaren Wasser Lachse
stehen sehen.
Knapp elf Stunden war ich unterwegs. Ich schaute noch einmal die Berge rauf. Von unten aber sind die
Steinriesen nicht zu sehen. Vielleicht ist es auch gut so das sie dort oben unbeobachtet unter sich sein können.
Zudem hingen dicke schwarze Wolken in den Bergen und während ich zu Abend aß regnete es. Mit dem Wetter
hatte ich auf dieser wunderschönen Wanderung Glück gehabt. Um 21.30 Uhr schien wieder die Sonne und
meine Beine verlangten nach laufen. So bin ich noch rund eine Stunde in der näheren Umgebung sowie ein
Stück am Uferweg des Rock Creak entlang gelaufen bevor ich mich endgültig müde schlafen legte.
(c) Klaus Dieter Schley - 1999 - 2010