2. Juni 1998 - Abstecher in den Klutina Lake Track
In der Nacht hatte es geregnet. Das erste Auto, das mir an diesem Morgen nach einer dreiviertel Stunde
begegnete, stand mitten auf der Straße. Der Fahrer, ein älterer Mann, winkte mir, das ich halten möge. Er hatte
einen Reifenschaden und war dabei, das Rad zu wechseln. Eine Schraube bekam er aber nicht los, sein
Schraubenschlüssel war etwas ausgeleiert. Seit fünf Uhr in der Frühe stand er schon und wartete auf Hilfe.
Während wir das Rad wechselten, erzählte er mir, das er, wie so viele ältere Amerikaner, Deutschland aus dem
Zweiten Weltkrieg kennen würde. Nun war er Rentner, besaß eine Hütte irgendwo in der Wildnis zu der er nun
unterwegs war. Von McCarthy wollte er sich zu der Hütte fliegen lassen, in der er wie jedes Jahr, zwei Monate
verbringen wollte.
Östlich des Richardson Higway in der Nähe von Copper Center geht ein Weg ab, der selten irgendwo
beschrieben ist und der nach meinen Informationen als sehr hart eingestuft wurde: der "Klutina Lake Track". Der
Weg ist im Laufe der Jahre aus einem einfachen Fußweg entstanden, der zu einem rund vierzig Meilen abseits
liegenden See, dem Klutina Lake, führt. Nachdem ich die McCarthyroad mit reichlichen Pausen verlassen hatte
entschied ich mich, ein Stück auf diesem Weg zu fahren. Wer mit dem Auto in einer solchen Landschaft
unterwegs ist, sollte aufpassen, nicht in einen Meilenrausch zu verfallen und dafür lieber einmal mehr anzuhalten
und kurze Ziele anpeilen, besonders, wenn sie sich so anbieten wie hier.
Tatsächlich war der Weg wie beschrieb sehr hart: tiefe Schlaglöcher, schmale Fahrbahn, ein umgestürzter Baum,
der den Weg faßt versperrte und der nur mit einem etwas gewagten Lenkmanöver am Graben entlang passiert
werden konnte. Höchstgeschwindigkeit 10km/h!
Die ersten Meilen nach dem passieren der Alaska-Pipline gehen hoch über den Klutina River am Rand des tief
eingeschnittenen Flußbettes entlang mit phantastischer Aussicht über das ganze Tal.
Wenn der Weg bei den Touristen wenig bekannt ist, so wird er aber von den Einheimischen gut genutzt. Ständig
gibt es Schilder, die vor dem Betreten des "Grundstücks" warnen, weil dieser Abschnitt der Wildnis irgend
jemanden gehört. Aber mehr als nur dieses Schild war selten zu erkennen, schon gar kein Weg oder eine Hütte.
Vielleicht muß man sich an passender Stelle zu Fuß in den Busch kämpfen, vorzugsweise dort, wo schon mal
eine verwitterte Mailbox am Wegesrand steht.
Als mich der Weg steil zum Fluß hinab führt und noch schlimmer wurde, entschied ich mich, an einem
Uferabschnitt, der wie aus dem Prospekt geschnitten war, zu bleiben. Während ich mir die klare
Nachmittagssonne auf den Pelz brennen ließ und dem reißenden Fluß zuschaute, passierten vier Fahrzeuge
meinen Platz; Einheimische, die zu ihren Angelplätzen
unterwegs waren.
In den frühen Abendstunden ließ sich am gegenüberliegenden
Ufer ein ausgewachsener Weißkopfadler auf einer Fichte
nieder. Ein großes, schönes Tier. Der Bald Eagle mit seinen
auffallend weißen Kopf und Schwanzfedern ist das
amerikanische Wappentier. Über eine halbe Stunde blieb er auf
dem Ast hocken um dann in ruhigem Gleitflug den Flußlauf
abwärts zu folgen.
(c) Klaus Dieter Schley - 1999 - 2010