Schnell weg von Sal - 6. November 1991
Bis zur Insel Sal hatte ich gebucht. Wie ich dann weiter komme und wo ich unterkommen würde sollte den
Gegebenheiten vor Ort unterliegen. Alles war offen und alles war möglich. Meine Absicht war, so schnell wie
möglich von Sal wieder runter zu kommen: zuerst auf andere Inseln reisen und erst zum Schluss sich eine
Pufferzeit übrig lassen, die ich dann auf Sal beim internationalen Flughafen verbringen könnte, so das ich nicht
in zeitliche Schwierigkeiten kommen würde sollte etwas mit den Inlandsflügen nicht so klappen wie gewünscht.
So lauteten auch die Empfehlungen der entsprechenden Reiseführer. Schon morgens um sieben Uhr, als ich
aufstand, gingen mir die verschiedensten Szenarien für den Tag durch den Kopf. Würde ich auf Sal übernachten
müssen oder käme ich weiter, - und wenn, auf welche Insel würde es mich verschlagen und wo käme ich dann
unter.
Nachdem ich genügend diese Gedanken durch den Kopf gewürgt hatte war mir wieder einmal klar, letztendlich
würde ich es drauf ankommen lassen müssen.
Sal sieht vom Flugzeug tatsächlich aus wie ein etwas unförmig verbrannter Pfannenkuchen im weiten Ozean -
so wie es in den Reiseführern erwähnt wurde. Nicht lange dauerte es nach dieser Entdeckung und die Maschine
landete. Dann die übliche Action: Gepäck, Zoll, Geldwechsel. Anschließend wurde es spannend. In Folge der
Maschine aus Lissabon gab es natürlich eine Reihe von Flügen zu den anderen Inseln, aber die Maschinen
waren alle ausgebucht. Für spät abends konnte ich dann doch noch ein Ticket für einen Flug zur Hauptinsel Sao
Tiago mit der Hauptstadt Praia ergattern. Und wieder änderte sich der Reiseryhtmus: eben noch Action und
Spannung, nun zähes warten auf das es weiter gehen möge. Ich tippelte vor dem Flughafengebäude umher, ich
saß in der Halle und döste, ich beobachtete die Leute und studierte die Flugpläne. Aber auch diese Zeit schlich
vorüber und dann saß ich im Flieger unter einem bunten Gemisch verschiedenster Menschen: Geschäftsleute,
afrikanisch bunt gekleidete Frauen, alte und junge Menschen und die Hautfarbe ging von „dunkel schwarz" bis
kalkweiß. Die beiden Piloten waren Schwarze, die beiden Stewardessen Weiße. Schon in diesem Flugzeug
bestätigte sich die Angabe, dass die Kapverdischen Bevölkerung ein buntes Gemisch der verschiedenen Rassen
sei, das zudem recht friedlich miteinander lebte.
Man frage mich nicht, was für ein Flugzeugtyp es war in dem ich saß. So wenig mich Autotypen und Modelle
interessieren (und ich sie mir merken kann) so wenig sagen mir Flugzeugtypen etwas. Hauptsache das Ding
fliegt und kommt ordentlich an. Die beiden Propellermotoren würden schon dafür sorgen. Eng war es in der
Kabine und lebhaft und es dauerte eine Weile bis alle auf ihren Plätzen saßen. Das muntere
Menschengeplapper wurde durchdrungen vom aufgeregten Piepsen zahlreicher Kücken, die in einem großen,
mehrere Etagen umfassenden Käfig gesperrt waren, der schräg vor mir auf einer Sitz vertäut wurde.
Inzwischen war es Nacht geworden. In der Kabine war dämmriges Licht, die Motoren schnurrten, die Leute
waren deutlich ruhiger, nur die Kücken piepsten munter weiter. Lange dauerte der Flug nicht und schon stand ich
in einem einfachen Raum mit einem großen Tisch, der den Raum in zwei Bereiche aufteilte. Auf der einen Seite
standen wir Passagiere dicht gedrängt, auf der anderen Seite war viel Platz für ein paar Arbeiter, die das Gepäck
Stück für Stück herbeischafften und auf den Tisch legten. Mit meinen 1,84m überragte ich die meisten Leute
deutlich. So stand ich hinten im Raum und wartete auf meinen Rucksack. Nach einer Weile platschte er auf den
Tisch und ich drängte mich nach vorne. Doch bevor ich den Rucksack erreichte, wurde er von einem jungen
Mann aufgenommen, der ihn hoch über seinen Kopf hob und wieselflink mit ihm durch das Gedränge zum
Ausgang eilte. Perplex quetschte ich mich hinter her und als ich draußen war, sah ich wie der Rucksack in einen
Kofferraum verschwand und der Deckel nieder knallte. Der junge Mann stand grinsend daneben, öffnete die
Beifahrertür und rief nur "Taxi"!
Erschöpft war ich und müde. Schnellstmöglich wollte ich ein Quartier und was sollte ich mich jetzt auf
irgendwelche Diskussionen oder Verhandlungen einlassen? So plumpste ich in den staubigen Sitz und sagte
nur, das ich zum Hotel Felicidade wollte.
Die Nacht war schwarz, es gab keine Straßenbeleuchtung und in den vielen niedrigen Häusern, an denen wir
vorbeikamen, brannte nur hier und dort eine Kerze oder Petroleumlampe. Vor den Häusern saßen oder standen
aber viele Menschen, vor allem junge Männer, von denen im Scheinwerferlicht kaum mehr als die leuchtend
weißen Gebisse zu sehen waren, die in der Dunkelheit schwebten. Als wir an den ersten Laternen vorbeikamen
und die Häuser elektrisches Licht hatten und nun auch mehrstöckig waren, dauerte es nur noch wenige
Augenblicke und wir standen vor einem einfachen Hotel.
Die Fahrt kostete nicht viel - aus europäischer Sicht. Dennoch war ich davon überzeugt, abgezockt zu sein. Fast
überall auf meinen Reisen nahmen Taxifahrer von Touristen überhöhte Preise oder versuchten es. Es wäre also
unnatürlich wenn das hier nicht geschehen wäre. Ich zahlte, schnappte meinen Rucksack und stand vor der
einfachen Rezeption.
Das Hotel Felicidade liegt in der Rua Guerra Mendes 40 in der Altstadt und hat 24 Zimmer, alle mit fließend
Wasser. Es ist eine eher einfache Unterkunft und wird wohl vor allem von Einheimischen genutzt. Da ich nur ein
Schlafquartier brauchte, würde es meinen Ansprüchen genügen. Zunächst einmal stand ich vor der Rezeption
und brabbelte meinen Zimmerwunsch aus einer Mischung von Englisch und Portugisisch daher. Ich verneinte die
Frage, ob ich vorbestellt hätte, und das Minenspiel des Rezeptionisten ließ erkennen was mir schon immer in so
einem Fall aufgefallen war: die Mine verfinsterte sich, sie sagte mir, das ist schlecht, das wird wohl nicht gehen,
welche eine Katastrophe, notfalls, aber wirklich nur notfalls kann ich dennoch mal nachschauen, was er dann
auch machte, und siehe da, da wäre ja noch ein Zimmer frei, nichts besonderes, kostet so und so viel, inclusive
Frühstück, hat aber kein Bad, "das ist auf dem Flur", aber ein Waschbecken, das Zimmer könnte ich haben
(wenn ich es denn unbedingt möchte). Ich möchte, trage mich ein, bekomme den Schlüssel und dränge mich im
Treppenhaus durch ein Spalier sehr einfach ausschauender Männer eine Etage höher.
Direkt am Treppenabsatz war eine schmale Tür mit meiner Zimmernummer und ich betrete das Zimmer, genauer
gesagt, die Kammer. Es hatte ein Bett (Bettlaken etc. sahen sauber aus), einen kleinen Tisch, ein Stuhl, einen
einfachen Schrank, ein Waschbecken und ein kleines Fenster, eher eine Lucke, die sich in den Lichtschacht des
Hauses öffnen ließ. Die Wände des Zimmers waren mit einer grüngelblichen Farbe gestrichen über die sich im
laufe der Zeit eine bräunliche Schicht gelegt hatte, wohl aus Teer und Nikotin bestehend. Nahezu jede
Gefängniszelle in Deutschland dürfte einen freundlicheren Eindruck machen.
In dem Zimmer war es 29°C warm. Die Luft war stickig und durch den Lichtschacht drängte sich nichts anderes
als stickige Luft herein. Aber auf dem Tisch stand ein Ventilator von einem halben Meter Durchmesser. Ich stopfe
den Stecker in die Steckdose und langsam begann das Ding zu laufen. Langsam aber stetig wurde er immer
schneller und schneller und lauter und lauter. Als er die Lautstärke der Propellermaschine erreichte, mit der ich
gekommen war, befürchtete ich schon, das er gleich abheben würde, denn er tanzte schon auf dem Tisch umher.
Der Regler im Ventillatorfuß war ohne jegliche Wirkung und so zog ich den Stecker. Die Ruhe war dann doch
angenehmer als der kühle Luftstrom.
In dieser Nacht habe ich supergut geschlafen. Ich war angekommen, hatte ein Quartier und würde mich in den
nächsten ein bis drei Tage nur treiben lassen, neugierig auf die Eindrücke, die auf mich einströmen sollten.
(c) Klaus Dieter Schley 2005 - 2010