25. November 1991 - Wanderung nach Punta Norta
In der Nacht bin ich von einem seltsamen Geräusch wach geworden: dem Geräusch von Regen. Während des
ganzen Tages war dann auch der Himmel so gut wie bedeckt und immer wider regnete es, nein, nicht stark, nur
Tropfen an Tropfen, die nieder platschten. Richtig nass wurde allerdings nichts, weder der Boden noch wurde ich
nass auf meiner rund 30 km langen Wandertour. Bei ca. 26°C blies beständig der Wind und so wurde alles gleich
wieder trocken.
Mein Ziel für diesen Tag war der Norden der Insel, Punta Norta. Also bin ich gleich nach dem Frühstück los, an
dem Hügel mit den Funkanlagen vorbei, durch ein hunderte Meter langes Neubaugebiet, in dem Menschen in
einfachsten Behausungen zwischen den Baustellen leben. Es schaute fast wie ein Slumgebiet aus, aber
wahrscheinlich hausten dort wohl die Bauherrn der neu entstehenden Gebäude.
Weiter führte der Weg entlang des Grünstreifens der Terra Boa und dann immer geradeaus. Es machte den
Eindruck, als käme ich überhaupt nicht voran auf diesem platten Gelände. Doch erreichte ich nach bald zwei
Stunden pausenlosen laufens Punta Norten mit den Resten des ehemaligen
Leuchtturmes. Dort pausierte ich, trank meinen "Power Tee", eine Mischung
aus schwarzem Tee mit Zitrone, Traubenzucker mit Vitaminen und eine
ordentliche Prise Salz und genoss diese karge, grausame Weltabgewandtheit.
Erbarmungslos brandet das Meer gegen die schroffen Felsen vulkanischen
Ursprungs. Der regnerisch graue Himmel, die vegitationslose Gegend, - ein
Ort, der den Eindruck erweckte, als befände ich mich in der Frühgeschichte der
Erde. Nur die Ruine des Leuchtturmes überstrahlte mit ihrer skurilen Absurdität
diesen Eindruck.
Nach einiger Zeit des umherstapfens zwischen den Felsen entschied ich mich
auf den Monte Grande zu laufen. Ich spürte plötzlich, dass ich dort hinauf
müsste und so zog es mich auch hoch, sicher von einer unglücklichen, steilen
Stelle aus, die runter zu gehen ich kaum wagen würde, aber ich gelangte auf
den Kraterrand, wo mich der Wind eifrig empfing und bis zum Gipfel (406m) -
der höchsten Erhebung der Insel - begleitete. Die garstige Lebensfeindlichkeit
dieses nördlichen Inselteils kann von dort oben gut empfunden werden. Nach
einer Pause machte ich mich auf den Heimweg, kam, endlich unten, auf einem
Fahrweg gut ins Laufen und erreichte nach über sechs Stunden Tour wieder
Espargos. Ich kaufte noch etwas ein und bereitete mich auf einen Abend im
Restaurant vor.
Das Restaurant des Hotels Atlantico besaß eine bemerkenswerte Atmosphäre.
Untergebracht war es in einer entsprechend aufgemöbelten Baracke der
ehemaligen Kaserne. Die Einrichtung war schlicht und die einzelnen Tische
waren in dem Raum gleichmäßig verteilt. Den Clou aber bildeten die Kellner.
Vielen Afrikanern ist eine geschmeidige, gar rhythmische Körperhaltung und
Gestik eigen. Die jungen Männer in ihren adretten Uniformen stellten jedoch
das genaue Gegenteil da: wie dressierte Besenstiele oder ferngelenkte
Roboter mit Gelenkproblemen verrichteten sie ihre Arbeit. Es war ihnen fast
anzusehen, das in ihren Ohren noch die Kommandos ihrer Ausbilder halten, wenn sie durch den Raum surrten,
Ausbilder, die ihnen vielleicht so etwas wie eine gehobene europäische
Kellnereleganz beibringen wollten. Bis auf einen Abend verbrachte ich jeden
Abend in diesem Restaurant, denn das Essen war gut und angemessen im
Preis und bei einer Flasche Wein vergnügte ich mich an dem Anblick der
"Roboter". Ich denke, die jungen Kellner werden im laufe ihres Berufslebens
ihre andressierte Steifheit zugunsten einer individuellen Eleganz verlieren,
denn geschickt und bemüht waren sie ja. Wahrscheinlich hat das Hotel
Atlantico inzwischen auch sein Barackenzeitalter überwunden und ist von
einem Neubau abgelöst worden.
(c) Klaus Dieter Schley 2005 - 2010