Ein Tag mit Toni - 8. November 1991
Mir war es egal ob Toni auf mich warten würde oder nicht. Als ich aus dem Hotel trat sah ich ihn nirgendwo. Ich
war schon fast der Überzeugung, ihn nicht wieder zu sehen als er plötzlich wie aus dem Nichts kommend vor mir
stand.
Zunächst bummelten wir etwas durch die Stadt. Ich wollte eine Ansichtskarte kaufen, schaffte es aber nur zu
einer Briefmarke. Ich hatte den Eindruck, das Toni nicht wusste was eine Ansichtskarte sei; er war mir bei dieser
Aktion jedenfalls keine Hilfe und ich hatte das Gefühl, das Ansichtskarten auf den Kapverden überhaupt (noch)
unbekannt sein, zumindest außerhalb der reinen Touristenhotels.
Gaskartuschen nach Euronorm waren aber bekannt und sie wurden hier und dort in den Geschäften angeboten.
So war die eigene "Küche" gesichert, denn einen Brenner und entsprechendes Campinggeschirr waren in
meinem Rucksack.
Nach diesem kleinen Stadt- und Einkaufsbummel gingen wir zum Strand. Die milde Wärme, der Geruch und der
Geschmack des Salzes auf den Lippen - erst indem ich in das Meer eintauchte streifte ich entgültig den
nasskalten Herbst in Deutschland ab, aus dem ich gekommen war. Ich schwamm, sonnte und laß und Toni saß
ein paar Meter hinter mir unter einem Baum im Schatten. Er wollte weder schwimmen noch sonnen. Er saß da
und wartete, - wie ein Leibwächter. So vergingen ein paar Stunden bis Toni sich aus dem Schatten mühte und
drängelte. Wir müssten langsam aufbrechen, es wäre Zeit, seine Mutter dürfte das Essen bald fertig haben. Nun
gut, ich ließ mich überzeugen und so gingen wir zur Wohnung.
Die Mutter hatte in der kleinen Küche auf dem Gaskocher einen großen Pott stehen und war am rühren. Das
Essen wäre so gut wie fertig, sagte Toni. Sein Bruder war auch gerade gekommen.
Cachupa ist das traditionelle nationale Gericht auf den Kapverden. Es besteht aus gestampften oder geriebenen
Mais der zusammen mit Bohnen gekocht wird. Je nachdem was vorhanden ist kommen noch Tomaten,
Knoblauch, Fleisch oder Fisch dazu. Mit Spiegeleiern wird das ganze garniert. Die Spiegeleier mussten noch
gemacht werden derweil ich schon einmal an den Tisch in dem Wohnraum platziert wurde. Ich war schon recht
überrascht als ich merkte, das nur ich dort sitzen sollte, ich, der (zahlende) Gast in diesem improvisierten
Restaurant. Toni, seine Mutter und der Bruder blieben in der Küche und schauten nur ab und zu lachend daraus
hervor, mich fragend, ob es denn schmecke und ob alles in Ordnung sei. Nun, wenn es unbedingt so sein solle,
dann machte ich das Spiel mit, Hunger hatte ich auch genug
Woraus dieses Cachupa bestand konnte ich nicht ergründen. Es war mir nicht möglich zu bestimmen ob Fleisch
oder Fisch verwendet worden war. Mais war auf jeden Fall darin, durchaus reichlich und leider war das Ganze
nicht besonders warm. Dennoch schmeckte es ganz ordentlich, es war zwar kein Hit aber ich wurde satt. Als ich
mit dem Essen fertig war kamen auch die anderen wieder aus der Küche, in der sie im Stehen gegessen hatten.
Kaum war dieses Restaurantspiel beendet gab es wieder Besuch. Zwei junge Schweizerinnen gesellten sich zu
uns. Ich hatte das Gefühl, das meine Anwesenheit ihnen nicht gefiel, zumindest suspekt vorkam. Dennoch
unterhielten wir uns etwas. Sie sagten, das sie ein paar Monate bleiben würden, hauptsächlich im Zentrum der
Insel, in Assomada. Sie seien Ethnologen (oder studierten Ethnologie) und würden einen Studienaufenthalt auf
den Kapverden machen.
Toni und ich verzogen uns bald. Wir streiften etwas durch die Stadt, tranken ein Bier und dann führte er mich
zum Sucupira-Markt mit den vielen einfachen Buden, auf dem man Tongefäße, Korbwaren, Kleidungsstücke und
Haushaltswaren bekommen kann. Hier ging es lebhaft und laut zu, ein wildes Gedränge, durch das wir uns
zwängten. Vor einer der Buden mit Kleidungsstücken blieb Toni plötzlich stehen und unterhielt sich mit der
jungen Frau, die hier Verkäuferin war. Toni meinte dann zu mir, das sei seine Schwester und ob sie mir gefallen
würde. Das Mädchen lächelte mir zu. Wenn ich möchte, sagte Toni, könne er es einrichten, das wir zusammen
eine Nacht verbringen. Das wäre kein Problem. Dieses wie selbstverständlich gemachte Angebot haute mich fast
aus den Latschen. Das mein "persönlicher Reiseführer" es dicke hinter den Ohren hatte war mir schon lange
klar, doch damit hatte ich nun nicht gerechnet. Ich bedankte mich, sagte aber wohl mit dem ausreichenden
Nachdruck, das ich das nicht möchte, so das Toni nur noch meinte, es wäre wirklich kein Problem, aber wenn ich
nicht wolle, sei das auch gut. Wir verabschiedeten uns von seiner Schwester, so sie es überhaupt war und
bummelten noch eine Weile auf dem Markt umher, bevor wir wieder zurück in die Wohnung gingen.
Es wurde langsam dunkel. Die Schweizerinnen waren inzwischen gegangen. Tonis Mutter kochte uns einen gut
schmeckenden Kräutertee und während wir ihn tranken, machte ich Toni klar, anderen Tags Richtung Assomada
- oder Santa Maria, wie er sagte, abzureisen, obwohl er mich immer wieder drängte, in eine Wohnung zu ziehen
- gleich um die Ecke, und seine Mutter würde kochen und das wäre für mich alles sehr preisgünstig. Was wolle
ich schon in Santa Maria. "Gucken!", betonte ich, herumreisen und schauen, das sei meine Absicht. Das Thema
war letztlich durch, aber für den Abend hatte Toni noch einen Kinobesuch auf dem Programm. Der Film wäre
sehr gut, ich müsse unbedingt mitkommen; sein Bruder würde auch ins Kino gehen.
Auf die Idee, diese Reise mit einem Kinobesuch zu verbinden, wäre ich nie gekommen. Aber warum nicht. So
gingen wir los und das Kino war auch nicht weit von der Wohnung entfernt. Eigentlich war es gar kein richtiges
Kino: vor einer hohen weiß getünchten Steinmauer standen eine Menge Stühle. Rechts und links waren niedrige
Mauern, die den Raum umfassten, das Dach bestand aus dem funkelnden Sternenhimmel und eine Kasse gab
es auch nicht, sondern hier und dort standen Leute herum die die zahlreichen lauten wie lebhaften Kinogänger
mit Eintrittskarten versorgten. Umgerechnet ein paar Cent kostete der Eintritt pro Person. So weit ich sehen
konnte war ich der einzigste Weiße und sicher auch der einzigste Ausländer in dem durchschnittlich sehr jungen
Publikum. Manche Mädchen und junge Frauen hatten sich recht ordentlich herausgeputzt. Für die Leute hier war
so ein Abend sicher ein bedeutendes Ereignis im sonst wohl eher tristen Alltag.
Der Bruder gesellte sich zu Bekannten. Toni drängte mich zu eine der vorderen Sitzreihen, die wären am besten,
sagte er.
Zu sehen beikamen wir einen typischen amerikanischen Action- und Abenteuerfilm, der irgendwo im Amazonas
spielte. Bei den erotischen Einlagen oder wenn die junge Heldin unter einer primitiven Urwalddusche stand gab
es einen höllischen Lärm im Publikum, lachen und Gefeix sowie anspornende Rufe erschallten. Überhaupt ging
das Publikum eifrig mit.
Nachdem die Hälfte des Filmes um war gab es eine Pause. Nahezu alle standen auf, liefen umher, kauften
Knabbersachen bei fliegenden Händlern, auch ich bekam eine Hand voll Popcorns oder so etwas ähnliches von
Toni zugesteckt, die Leute standen zusammen und unterhielten sich.
Kaum war die zweite Hälfte des Filmes gestartet gab es eine "Live-Einlage": die Hauptdarsteller waren eine
Maus und eine Katze. Das Drama fand an der Leinwandmauer statt. Die Maus huschte an der Wand entlang,
wurde von der Katze gefangen, wieder freigelassen, erneut gefangen usw. bis sie erschöpft oder gar tot war.
Dieses Spiel fand im Publikum heftigen Beifall und lenkte eine Weile vom Film ab. Vom Beifall wie vom Schein
des Projektors vollkommen unbeeindruckt ging die Katze ihrem Geschäft nach und erst als die Maus nicht mehr
wollte oder konnte schnappte sich die Katze ihr Opfer und stiefelte unter heftigem Beifall des Publikums
seelenruhig davon. Gewundert hätte es mich nicht, wenn das Tier kurz vor dem Abgang noch einen Diener ins
Publikum gemacht hätte -, mit der Maus im Maul.
Nach dem Film schlenderten wir noch etwas durch die Gassen und landeten schließlich in einer winzigen Bar.
Toni sagte, hier gäbe es guten Grogue de Cana. Vor diesem aus Zuckerrohr gebrannten hochprozentigen
Alkohol wurde in den Informationen, die ich hatte, gewarnt, weil der Schnaps in der Regel sehr viel Methylalkohol
enthält. Toni drängte, ich solle doch mal probieren, dieser wäre wirklich sehr gut und tatsächlich, das Gebräu
schmeckte. Ich ließ es aber bei einem Glas und erklärte, nun schlafen gehen zu wollen. So verabschiedete ich
mich von Tonis Bruder. Toni wollte mich noch bis zum Hotel begleiten. Er sagte, es sei für einen Weißen nicht gut
in der Nacht hier in der Gegend alleine umher zu laufen, zumal am Fuße des Tafelbergs ein kleines Slumviertel
war, durch das ich musste. Während des bisherigen Aufenthaltes hatte ich nirgendwo das Gefühl verspürt,
abgelehnt oder gar feindlich betrachtet zu werden - im Gegeteil, die Leute waren bislang alle sehr freundlich, gut
drauf, ja auch höflich. Ich hatte also nicht das geringste Gefühl von Furcht, doch Toni beharrte auf seiner
Meinung und so schlenderten wir zusammen auf die Altstadt zu.
Vor dem Hotel verabschiedete ich mich von Toni, steckte ihm noch etwas Geld zu um das er gebeten hatte - es
hätte mich auch gewundert, wenn er nicht noch etwas gewollt hätte. Es sollte aber kein Abschied für immer sein,
denn ich sollte ihm noch einmal begegnen und er würde mir dabei sogar aus einer kleinen Patsche helfen.
(c) Klaus Dieter Schley 2005 - 2010