Sao Jorge dos Orgaos, Pension Sossego - 10. November 1991
Gegenüber von meinem Zimmer, etwas unterhalb am Hang lag der Küchentrakt. Als ich aufgestanden war und
meine Nase aus dem Fenster hielt, um den neuen Tag zu beschnuppern, hörte ich den Amerikaner lautstark in
der Küche herumalbern und ebenso lautes Gekicher des weiblichen Küchenpersonals.
Mit Durst war ich aufgewacht und mit Durst würde ich den ganzen Tag herumlaufen. Ständig konnte ich trinken.
Ich musste den Durst aushalten, genauso wie die Müdigkeit und die
Schlaffheit, ja Lustlosigkeit, die mich ergriffen hatte. Ich war in gewisser Weise
urlaubsreif: die vielen Eindrücke der vergangenen Tage, das andere Klima und
die Anstrengung der Wanderung hatten sich zu einem Gefühl des ausgelaugt
sein verdichtet. Es war also gut einen schönen, ruhigen Ort gefunden zu
haben, um den herum ich mich ein paar Tage würde treiben lassen können. So
machte ich mich nach dem Frühstück auf und spazierte rund zwei Stunden den
Berg weiter aufwärts, bis sich alle Wege und Pfade im Gestrüpp verloren oder
an steilen Hängen endeten.
Dort oben ließ ich mich gefangen nehmen von der mich umgebenden Natur, der zerklüfteten Landschaft und den
Bergen mit dem Ausblick auf den Pico de Antonia, der mit seinen 1392 m der höchste Berg der Insel ist. Es soll
die Möglichkeit bestehen auf ihn hinauf zu wandern. Diese Tour würde mich locken, doch
so wie ich mich an diesem Tag fühlte, ahnte ich, das daraus nichts werden würde. Zudem
war der Himmel in diesen Tagen immer wieder stark bewölkt und so hingen auch um den
Pico zeitweilig dicke Wolken.
Als ich mich für eine Pause auf einen Stein setzte riss meine Hose, das olle Ding! Ich
musste sie notdürftig flicken, damit ich halbwegs bekleidet ins Zimmer zurückkam.
Den Nachmittag und frühen Abend verbrachte ich mit kleinen Spaziergängen in der
näheren Umgebung. In einem Haus, ein paar hundert Meter die Straße hinab in Richtung
des Dorfes, sah ich in den Abendstunden eine Frau hinter einem offen stehenden Fenster,
eine Mitteleuropäerin, wahrscheinlich sogar eine Deutsche, die wohl dort wohnte.
In der Pension war ich der einzigste Tourist, soweit ich das feststellen konnte. Mehrere
Leute, die an diesem Tag anreisten, waren Lehrgangsteilnehmer in der
landwirtschaftlichen Forschungsstation. Sie wohnten zumeist oberhalb der Pension in dem Gebäude der Schule.
Abends wurde die Bar eröffnet, die Musik wurde eingeschaltet und übertönt die beiden singenden Kanarienvögel
in ihrem Käfig, der unter der Bambusdecke der Terrasse baumelt. Von den Lehrgangsteilnehmern kamen einige
um im Restaurant zu essen oder in der Bar zu sitzen. Auch waren einige Gäste da, die übers Wochenende hier
her kamen. Für wohlhabendere Einwohner war die Pension wohl auch ein
beliebtes Ausflugsziel.
(c) Klaus Dieter Schley 2005 - 2010